Jeu de Paume
Jeu de Paume
Das allgemein unter dem Namen Jeu de Paume bekannte Rückschlagspiel erfuhr in seiner sieben Jahrhunderte langen Geschichte vom hohen Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zwei bemerkenswerte Entwicklungen: die bereits beginnende Öffnung für breitere Gesellschaftsschichten und die forcierte Ausdifferenzierung sportlicher Wesens- und Organisationsformen. Der hier nur in aller Kürze zu analysierende Prozeß widerspricht der verbreiteten Auffassung, daß es sich bei diesem Spiel um eine dem Adel vorbehaltene Freizeitbeschäftigung handelte.12 Aus sporthistorischer Sicht bedeutsamer erscheint die fortgeschrittene Differenzierung und Spezialisierung, die in dem Jeu des Paume einen Vorläufer des modernen Tennissports erkennen lassen. Es bestätigt die am Beispiel der Ritterturniere und der Schützenfeste beschriebene Auffassung, daß die Körperkultur an der Schwelle zur Neuzeit bereits jene sportlichen "Verhaltensformen" entwickelte,13 die ihr von der vergleichenden Verhaltensforschung erst seit Beginn der Industrialisierung zugeschrieben werden.14
Sie sind jedoch schon bei dem im 12. Jahrhundert in Klösterhöfen entstandenen Jeu de paume bemerkbar. Als Spielflächen nutzten die beiden, manchmal auch zu dritt spielenden Mönche den Innenhof ihres Klosters und die Schrägdächer über den herumführenden Säulengängen, der sogenannten "Galerie", aus denen interessierte Zuschauer das Spiel verfolgen konnten. Der Service wurde mit blosser Hand aufgeschlagen, später mit geschützter Handfläche, woher sich die verschiedenen Varianten des danach benannten Jeu de Paume herleiten. Zur Verbesserung ihres Service, den sie auf das Dach einer Längsseite plazieren mußten, übten die Mönche nach der technischen Anleitung eines Trainers, der ihnen auch die technisch optimale Ausführung von Rückhand- und Vorhandschlägen demonstrierte und kommentierte. Von den Regeln ist nicht viel mehr bekannt, als daß die eher weichen, daher noch nicht so schnell fliegenden Bälle dem Servierenden auch von einem Zuschauer von der Galerie, oder einem dritten Spieler auf dem Spielfeld zugeworfen wurden. Als einzelne Klosterschüler das Spiel nach draußen, etwa auf den Kirchplatz verlegten, verlor es nicht nur seinen exklusiven Charakter, sondern störte die Geistlichkeit in ihrem Pietätsempfinden, da die Spieler mit ihrem erregten Geschrei, mehr noch mit ihren fehlgeschlagenen Bällen wiederholt den Gottesdienst störten. Die damit beginnende Verbreitung des Jeu de Paume ließ sich nicht mehr durch Verbote aufhalten, da sich selbst einige hohe geistliche Würdenträger der Attraktivität des Spiels nicht entziehen konnten.15
Die klösterliche Entstehung des Jeu de paume bestätigt die angeblich älteste, um 1220 von dem rheinischen Zisterziensermönch Cäsarius von Heisterbach hinterlassene Spielbeschreibung, in der zwei Höllenteams gegeneinander Tennis spielen, wobei sie "eine Menschenseele" als "ihren Spielball" benutzen."16
Der Austritt aus dem Kloster brachte das Spiel unter breitere Gesellschaftsschichten und unter den Einfluß der beginnenden Verstädterung. Der durch die Organisation des Zunftwesens beschleunigte technische Fortschritt führte zur weiteren Ausdifferenzierung im Jeu de Paume. Die seit Mitte des 16. Jahrhunderts literarisch erwähnten Schläger werden nun von Ballmeistern produziert, die in ihren Werkstätten auch Bälle herstellen, und ihre Lehrlinge nach den Ausbildungsordnungen ihrer Gilden ("Maîtres paumiers-raquetiers") unterrichten. Von den viel früher in Zünften organisierten Ballmachern ("Paumiers") waren um 1300 in Paris bereits mehr als ein Dutzend Meister tätig. Gegenüber heute hatten die mit Darmsaiten bespannten Schläger einen verkürzten Griff, die Bälle wurden je nach Spielart weich oder fest unter Verwendung von Kopf- oder Barthaaren ausgestopft. Zum Spiel auf den immer zahlreicheren Spielplätzen und Ballhäusern bedurften die Spieler besondere Schuhe, die ihnen von den Schustern je nach Bedarf "absatzlos und oft mit Filz" gefertigt wurden. Aufgrund der steigenden Nachfrage exportierten die marktbeherrschenden Engländer und Franzosen ihre Tennisartikel seit Mitte des 16. Jahrhunderts, wobei sie sich von den hohen Einfuhrzöllen nicht abschrecken ließen. Auch wenn die Ballhäuser wegen der hohen Mietgebühren noch in Überzahl von den Adligen benutzt wurden, kamen doch immer mehr bürgerliche Tennisspieler, die sich bald zu den ersten Tennisclubs (u.a. 1405 in Brügge) zusammenschlossen. Gut bezahlte Tennistrainer unterrichteten auf den Spielplätzen, in den Ballhäusern und an den Fürstenhöfen,17 wie auch schon bezahlte Spieler, die ersten "Tennis-Professionals", auf bestimmten Turnieren gegeneinander antraten, um Preise wie "Schläger, Handschuhe oder silberne Bälle" zu gewinnen. Für Geld spielten auch schon Frauen Tennis, von denen eine Margot aus dem Hennegau als der erste weibliche Tennisprofi gilt.18 Die Spezialisierung dieses neuen Berufszweiges – in Paris sollen 7000 Menschen in irgendeiner Weise vom jeu de paume gelebt haben – förderte auch das Geschäft der Buchdrucker, da immer mehr Bücher über das Training, die Regeln oder den Bau von Tennisanlagen geschrieben wurden. 1555 veröffentlichte der italienische Theologe Antonio Scaino aus Salò (Gardasee) in dem ersten bekannten Buch über die Ballspiele19 eine detaillierte Anleitung über den Bau von Tennisplätzen. Selbst mittellose Bürger wollten spielen, was sie auf den Straßen oder freien Plätzen taten, indem sie eine Art Sieb auf drei Pfosten als Netz aufstellten. Wenn sie es sich leisten konnten, kauften sie sich Schläger. In den Städten, vor allem in Frankreich und England, enstanden neben den immer zahlreicheren Tennisplätzen besondere Ballhäuser.20 Alle wichtigen Dienste darin versah der den neuen Berufszweig beherrschende Ballmeister, zugleich Schankwirt, Platz- und Zeugwart, Schiedsrichter und Trainer.21
Auf rheinland-pfälzischem Gebiet begegnen wir den ältesten erwähnten Ballmeistern und Tennisspielern in den pfälzischen Ballhäusern, von deren Existenz die Tennisgeschichte erst durch die Arbeiten von Gerhard Wunder weiß: Heidelberg (mehrere Bauten 1592-1622), Mannheim (im Westflügel des Schlosses 1732 bis 1795), Zweibrücken (beim alten Schloß zwischen 1530 und 1772ff.), Kirchheimbolanden (im Schloßgarten 1753.1794) und Mainz (mehrere zwischen 1673 bis 1705).22 Wahrhaft verwunderlich, da die Forschung das typische Aktionsfeld der barocken Tennisgesellschaft schon lange kennt, und die Ballhäuser im deutschen Sprachraum nach neuestem Wissen sogar über 80 gezählt haben. 23 Die oft am Stadtrand gelegenen Ballhäuser maßen in ihrer Länge bis zu 40, in der Breite etwa 14 und in der Höhe bis zu 15 Meter. Die auf den zeitgenössischen Stichen nur anhand der Funktionsbezeichnungen auszumachenden Ballhäuser24 hatten eine Spielfläche von etwa 14 mal 5 Metern, deren Hälften von einem Seil unterteilt wurden.
Von der Decke hingen Spezialnetze, um die Zuschauer, die auf den Galerieseiten oberhalb der Seiten- und Grundlinie saßen, vor der erheblichen Verletzungsgefahr durch Fehlschläge zu schützen.25 In dem von ihm ohne Zweifel nach neuesten Standards eingerichteten Mannheimer Ballhaus gehörte der Pfalzgraf Karl Theodor zu den "eifrigsten Spielern." Wie es in einem zeitgenössischen Dokument heißt, "bediente er sich wöchentlich drei, vier oder mehrere Male der noblen Exercitii mit Ballschlagen, wobei ihm öfter Herzog Friedrich von Saarbrücken Gesellschaft leistete."26
Die aus den Barockschlössern in Rheinland-Pfalz ansonsten fehlenden Hinweise auf das jeu de paume27 sollten Kunsthistoriker zu weiteren Funktionsanalysen der ihnen bekannten Ballhäuser veranlassen. Besondere Aufmerksamkeit wäre auf das Vordringen der Bürger in die adlige Spiel- und Sportkultur zu legen, die sich bei den Fechter- und Schützengilden spätestens im 15. Jahrhundert in eigenen Fecht- und Schützenhäusern manifestierte.28 Da das "Pallspielen" in den sogenannten "Exerzitien" zur Ausbildung der als sportlich geltenden Ritter gehörte, 29 erscheinen Wettspiele im Jeu de Paume auch in der ritterlichen Spielpraxis denkbar.
Als besonders eifrige Klientel der Ballhäuser sind die Studenten einzuschätzen, deren Lehrplan neben Schwimmen, Ringen, Fechten und Reiten auch Ballspiele mit Tennis umfaßte. Nach der Studienordnung des "Collegium Illustre" in Tübingen aus dem Jahre 1609 besoldete die Universität dazu ausgebildete "Bereiter, Fechter, Pallmeister und Dantzmeister."30 Während die Studenten in Tübingen zum Tennisspiel in das Ballhaus der Ritterakademie gingen,31 konnten die Mainzer Studenten in dem von ihrer Universität am Dalberger Hof (i.d. Nähe des heutigen Schillerplatzes) 1673 errichtete Ballhaus ohne besondere Rücksicht auf andere Nutzer ihre Schläger schwingen.32 In Anbetracht der allgemeinen Beliebtheit des Tennisspiels an den Universitäten darf man durchaus seine weitere Verbreitung an den alten rheinland-pfälzischen Universitäten vermuten, unter anderem eben auch in Trier.33